Es war effektiver als so manches Managementseminar
Bischof Dr. Josef Marketz, verbrachte während seiner Zeit als Direktor des Seelsorgeamtes der Katholischen Kirche eine Woche in der Raiffeisenlandesbank Kärnten.
Für mich ist eine unerwartet interessante Woche zu Ende gegangen. Ich habe sie als ein sehr effektives Ausbildungstraining erlebt. Es war auf jeden Fall effektiver als manch teures Managementseminar. Die Brücke zu den Leuten in der Bank wird bleiben.
Tagebuch eines Seelsorgeamtsdirektors
Tag 1 : Ähnliche Aufgaben und Herausforderungen
Am Beginn des „Praktikums“ stand ein Mittagessen mit den Vorstandsdirektoren auf dem Programm. Dabei wurde eines schnell klar: Unsere Arbeit in Kirche und Bank bestimmen ähnliche Aufgaben und Herausforderungen. In der Beziehung einer Bank zu ihren Kunden und auch in der Beziehung der Kirche zu den Gläubigen ist das Wichtigste wohl das Vertrauen. Dieses Vertrauen kann aber schnell verspielt werden. Dies haben in den letzten Jahren viele Banken erlebt, und dies erlebt jetzt sehr schmerzhaft auch die katholische Kirche.
Für mich ist es sehr interessant, dass die Strukturen des Raiffeisenverbandes und der katholischen Kirche sehr ähnlich sind. Es gibt da wie dort starke Zentralen und sehr selbständige Filialen. Die Raiffeisenlandesbank kann nicht direkt in die Filialen eingreifen. Für notwendige Veränderungen müssen die Mitarbeiter ständig motiviert und geschult werden. Dasselbe gilt wohl auch für das Seelsorgeamt unserer Diözese. Im Gespräch mit den drei Vorstandsdirektoren, die im gleichberechtigten Miteinander Entscheidungen finden und auch verantworten müssen, habe ich mich auch gefragt, ob nicht die zugleich hierarchische und doch demokratische Struktur der Bank der heutigen Zeit besser entspricht als das streng hierarchische kirchliche System.
Tag 2: Marketing
Bei meinem Besuch in der Marketingabteilung der Raiffeisenlandesbank Kärnten habe ich eigentlich erwartet, dass man sich dort in erster Line mit Strategien und Möglichkeiten für den erfolgreichen Verkauf von Bankprodukten beschäftigt. Ich war zweimal überrascht, dass gerade dort der Leitsatz »Gemeinsam erfolgreich« entstanden ist, und dass ich mit der Abteilungsleiterin einen halben Tag lang über Werte des Raiffeisenverbandes und über die Kommunikationsformen, die die Mitarbeiter mit den Kunden verbinden, gesprochen habe. Dahinter stehen Erfahrungen, die ich nach einem Jahr als Leiter des diözesanen Seelsorgeamtes nur bestätigen kann. Der Schlüssel zum nachhaltigen Erfolg ist nicht kurzfristige Marketingtricks anzuwenden, mit denen man naive Abnehmer unnötiger Produkte oder Waren ködert, sondern das Vertrauen, dass man sich mit erkennbaren Werten und mit konsequenter Arbeit schafft bzw. erarbeitet. Dafür aber braucht es motivierte Mitarbeiter. Gerade das aber ist für jeden Betrieb und gewiss auch für die Kirche die größte Herausforderung. Für die Motivation ist vieles nötig. Mit der Gesprächspartnerin waren wir uns einig: Eine gute Kommunikation ist für die Motivation der Mitarbeiter einer der wichtigsten Faktoren. Auf diesem Gebiet haben sie bei der Raiffeisenlandesbank viele Formen entwickelt, die nachahmenswert sind.
Tag 3: Reklamationen
Die Kultur eines Unternehmens zeigt sich auch daran, wie mit Kritik und Beschwerden umgegangen wird. Besetzte Telefonleitungen und Fehler bei automatischen Buchungen sind oftmalige Gründe für Beschwerden, die von der Bank sehr sorgfältig dokumentiert und bearbeitet werden. Die letzte Kontrolle, was mit den Beschwerden geschehen ist, macht der Assistent des Vorstandes. Diese Tatsache besagt, dass das Thema Beschwerden für die Bank zu den wichtigsten Themen zählt und mitentscheidend für den Erfolg des Unternehmens ist.
Die Beschwerden in der Kirche sind nicht so einfach zu lösen. Es gibt viele, und sie sind sehr unterschiedlicher Art. Einige Kirchenmitglieder beschweren sich über den Religionsunterricht und über die Lehre der Kirche, andere wiederum über das Kirchenrecht; viele kritisieren auch die unterschiedlichen Entwicklungen der Kirche weltweit. Wir kennen auch die Kritik des Kirchenpersonals, die Kritik an der Form und der Art der Kommunikation innerhalb der Ortskirche. Die Menschen kritisieren aber auch unvorbereitete Predigten und unwürdiges Feiern von kirchlichen Festen. Als eine besondere Art der Beschwerde können und sollen wir auch einen Kirchenaustritt verstehen. Die derzeitige Regelung erwartet von den Priestern, dass sie innerhalb von drei Monaten jeden, der aus der Kirche ausgetreten ist besuchen und ihn danach fragen, weshalb er aus der Kirche ausgetreten sei. Ich selbst habe nicht alle besucht, weil die Besuche nicht angenehm sind. So schiebe ich diese Besuche aufgrund anderer Arbeiten gerne auf die lange Bank. Doch habe ich mit diesen Gesprächen auch gute Erfahrungen gemacht, obwohl jene, die den Austritt widerrufen, doch sehr rar sind. Bei vielen verspüre ich aber eine Genugtuung, dass ich ihre Entscheidung bemerkt habe und dass ich ihnen jetzt wenigstens einiges an Zeit widme. Ich bemerke aber auch, dass einige diesen Schritt nicht getan hätten, hätte ich ihrer Kritik schon früher Aufmerksamkeit geschenkt.
Tag 4: Corporate Identity
»Wir versuchen Raiffeisen zu leben!« hat mir heute der Leiter der Kassenabteilung gesagt. Ich wär sehr froh, wenn meine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sehr schnell und klar sagen würden: »Wir versuchen Kirche zu leben!« Anscheinend kann man sich heute leichter mit einer Bank als mit der Kirche identifizieren. Und das ist nicht über Nacht zu ändern. Man muss ehrlich nach den Gründen für das schlechte Image suchen und mit den notwendigen Veränderungen beginnen, die jedoch das Wesentliche der christlichen Gemeinschaft nicht verwässern sollen.
Ich gehe zurück in den Schalterraum der Bank: Dort, wo früher hinter Glasscheiben die Angestellten auf die Kunden gewartet haben, stehen heute verschiedene Automaten, die Geld entgegen nehmen und Geld ausgeben. Geräte, die alle Bankgeschäfte rund um die Uhr ermöglichen. Nicht weit von den Automaten entfernt aber warten in den »Zellen« Berater auf Kunden, die sie in finanziellen Angelegenheiten in allen Lebenslagen beraten wollen. Ich denke mir: Das ist eigentlich eine erstaunliche Entwicklung, vor allem, wenn ich aus den Ausführungen des Beraters spüre, wie er Aufgaben übernimmt, die bis vor kurzem auch noch von uns Priestern wahrgenommen wurden.
Tag 5: Geld und Spiritualität
Am Ende meines einwöchigen »Praktikums« habe ich mich noch mit dem Vorsitzenden des Aufsichtsrates und mit den drei Vorstandsdirektoren der Bank getroffen. Wir redeten über Geld und Vertrauen, über erfolgreiches Wirtschaften, die konkurrierende Gesellschaft und über die Kirche. Zwischen der Arbeit in der Bank und jener der Kirche gibt es mehr Brücken als man zunächst annehmen würde. Hinter der Philosophie der Bank steht nicht nur der Wunsch nach dem größtmöglichen Gewinn, sondern eine Vision, die Werte als Grundlage hat. Wir stellen fest, dass die Hauptprinzipien der katholischen Soziallehre – Personalität, Subsidarität und Solidarität – auch heute noch die Fundamente des Raiffeisenverbandes bilden. Die Direktoren wünschten sich mehr geistig-spirituelle Initiativen. Selbstverständlich bot ich ihnen die Kirche als Partner an.
Ich selbst habe in den Tagen sehr klar feststellen müssen, dass verantwortungsvolles Arbeiten mit Menschen auch in der Kirche sehr klare Strukturen, Präzision und Verantwortung braucht. Und es braucht die Bereitschaft, die Ziele, die man sich gesteckt hat und die man zu erreichen wünscht, auch zu überprüfen. Für mich ist eine unerwartet interessante Woche zu Ende gegangen. Ich habe sie als ein sehr effektives Ausbildungstraining erlebt. Es war auf jeden Fall effektiver als so manch teuer bezahltes Managementseminar. – Die Brücke zu den Leuten in der Bank wird bleiben.